Leseprobe aus "Eine unbehütete Tochter"


Am Abend schaute die Hebamme noch mal nach Mutter und Kind. Da fragte Karin: "Finden Sie wirklich, dass mein Baby außergewöhnlich schwer ist?"
"Auf jeden Fall. Das übliche Geburtsgewicht eines Mädchens liegt bei sechs Pfund."
"Und woran liegt es, dass meines so schwer ist?"
"Sie haben eben zu gut gefuttert."
"Wirklich? Ich meine, es liegt eher daran, dass es elf Monate gebraucht hat."
"Unsinn", lachte Frau Glück. "Keine Frau trägt elf Monate. Das machen nur die Esel."
"Ein Kind kann aber doch auch übertragen sein", tat Karin ihr neuerworbenes Wissen kund.
"Dieses Kind ist nicht übertragen. Schauen Sie doch, wie glatt es ist. Übertragene Kinder haben eine schrumpelige Haut."
"Das verstehe ich nicht. Es ist doch Mitte Oktober passiert, und nun haben wir Mitte September."
"Was soll Mitte Oktober passiert sein?"
Karin beschrieb ihre erste sexuelle Erfahrung.
"Ach, Sie Dummerchen", lachte die Hebamme. "Die Erklärung ist ganz einfach. Beim erstenmal war eben noch nichts passiert."
"Aber es muss doch", beharrte die junge Mutter. "Meine Tage sind danach ausgeblieben."
"Das hat nichts zu sagen. Dafür gibt es zwei Erklärungen: Sie sind noch sehr jung. Da kann es sein, dass sich der Zyklus noch nicht richtig eingependelt hat."
"Und die andere Erklärung?"
"Nach dem, wie Ihr erstes Erlebnis abgelaufen ist, waren Sie so geschockt, dass Ihr Körper in Streik getreten ist."
"Ist das ganz sicher? Im Oktober kann ich noch nicht schwanger gewesen sein?"
"Ganz sicher. So wie das Kind aussieht, müsste es Mitte Dezember entstanden sein."
Karin lächelte gequält: "Deshalb konnte also Anfang Dezember nichts abgehen, trotz aller Anstrengungen."
"Wie meinen Sie das?"
Die Wöchnerin erzählte von ihrem ersten Arztbesuch, inklusive dessen zweifelhafter Empfehlung.
"Was war denn das für ein Arzt!?", empörte sich Frau Glück.
"Ein richtiger Frauenarzt. So stand es jedenfalls an seiner Tür."
"Ein schöner Quacksalber ist das! Kann noch nicht mal feststellen, dass keine Schwangerschaft vorliegt."
"Ich hätte mir die Heirat also glatt ersparen können?" Das klang mehr nach einer Feststellung, als nach einer Frage.
"Na ja, das stimmt auch nicht. Schwanger sind sie ja geworden, wenn auch erst später."
"Hätte ich Anfang Dezember gewusst, dass ich überhaupt kein Kind kriege, hätte ich doch den Typ nicht mehr an mich rangelassen. Das hab ich doch nur gemacht, weil er gesagt hat, jetzt sei es eh Wurscht, jetzt wolle er seinen Spaß haben."
"Demnach scheinen sie mit ihrem Mann nicht sehr glücklich zu sein?"
"Glücklich? Keine Spur."
"Aber jedes junge Mädchen ist doch froh, wenn es endlich die Bevormundung durch die Eltern loswird."
"Ich hab doch nur die Abhängigkeit von meinen Eltern eingetauscht gegen die Abhängigkeit von ihm. Darin sehe ich keinen Vorteil."
"Ja, ja", sinnierte die Hebamme. "Es ist ein Jammer, dass es heutzutage immer noch Mädchen gibt, die nicht richtig aufgeklärt sind."
"Eines sage ich Ihnen, Frau Glück. Meine Tochter lasse ich nicht so doof aufwachsen. Die werde ich rechtzeitig aufklären. Darauf können Sie sich verlassen."